Die theoretische Grundlage der DDR-Literatur bildete der sozialistische Realismus (künstlerische Richtung, die seit dem Allunionskongress der Schriftsteller in Moskau 1934 verbindlich für die sowjetischen Autoren war. Kennzeichen: marxistische Grundlage, Einsatz für die von der kommunistischen Partei geführte Arbeiterklasse, Aufzeigen der revolutionären Entwicklung, Erziehung des Publikums im sozialistischen Sinn, positiver Held, realistische Zeiterfassung, optimistische Zukunftsperspektive).
In Deutschland hatte sich 1928 der „Bund Proletarisch-Revolutionärer Schriftsteller" (BPRS) gegründet. Seine Mitglieder nahmen die Ideen des sozialistischen Realismus auf und suchten sie in ihren Exilwerken zu verwirklichen. Zwischen dem Cheftheoretiker des BPRS, Georg Lukäcs, und Brecht kam es zur sog. Expressionismusdebatte. Während Lukäcs die sozialistische Literatur in der Tradition der Klassik und des bürgerlichen Realismus sah, trat Brecht für moderne, experimentelle Literatur ein. Lukäcs forderte ein harmonisch abgerundetes Kunstwerk, das Typisches (gesellschaftliche Klassenprobleme) im Besonderen (Leben des Einzelnen) widerspiegeln soll. Neue Darstellungsformen wie Montage, Reportage und Verfremdung wurden als Formalismus kritisiert und abgelehnt.
Die Literaturschaffenden waren in der DDR niemals frei. Bereits in der Besatzungszeit bestimmte die Sowjetische Militäradministration, welches Werk gedruckt werden durfte. Sozialistisch orientierten Autoren, die aus dem Krieg zurückkehrten, wurden kulturelle Aufgaben übertragen (Johannes R. Becher, Anna Seghers, Bertolt Brecht). Nach der Gründung der DDR kontrollierten und überwachten staatliche Stellen die Schriftsteller. Schon früh wird deutlich, dass die Partei die Literatur als ein Mittel zur Durchsetzung ihrer politischen Ziele betrachtet. Wer sich der offiziellen Kulturpolitik fügt und bereit ist, die Menschen sozialistischideologisch zu beeinflussen, wird gefördert. Wer andererseits künstlerische Selbstständigkeit reklamiert, wird kritisiert, als reaktionär verteufelt und seine Werke bleiben unveröffentlicht.
Dem, der sich nicht anpassen will, bleibt nur die Emigration. Bereits in den 50er- und 60er-Jahren verlassen die DDR: Horst Bienek, Ernst Bloch, Peter Huchel, Uwe Johnson, Heinar Kipphardt, Christa Reinig. Nach der Ausbürgerung Wolf Biermanns (1976) kommt es zu einer größeren Ausreisewelle. Zu ihr gehören Sarah Kirsch, Günter Kunert, Reiner Kunze, Erich Loest.
In der ersten Hälfte der 50er-Jahre versuchen parteikonforme Autoren den Aufbau des Sozialismus positiv zu beschreiben (sog. „Aufbau-Literatur"). Sie zeigen Helden, die die sozialistische Idee gegen alle Hindernisse zum Sieg führen und Optimismus verbreiten. Auch das Theater steht im Dienst der politischen Zielsetzung. Es bringt Figuren auf die Bühne, die im Arbeitsprozess stehen und den Weg zum Sozialismus vorantreiben sollen. Die führende Figur im Theaterleben ist Brecht, der 1948 aus den USA zurückkehrte. In Ostberlin baut er das „Berliner Ensemble"" auf, dessen Leitung seine Frau Helene Weigel übernimmt. Nach Brechts Tod 1956 wirken seine Vorstellungen weiter, so bei Heiner Müller. Die zweite Hälfte der 50er-Jahre zeigt den Unwillen der Partei gegenüber nicht linientreuen Autoren. Literarische Experimente in Anlehnung an Kafka und moderne amerikanische Autoren werden öffentlich verworfen. Der bekannteste Roman dieser Jahre ist Bruno Apitz' (1900-1979) Nackt unter Wölfen (1958), der authentisches Geschehen im KZ Buchenwald thematisiert. 1959 wird auf der Bitterfelder Konferenz ein Programm entworfen (der sog. „Bitterfelder Weg"), das die führende Position der SED im Kulturbereich betont und den sozialistischen Realismus als Kampfmittel gegen moderne Entwicklungen fordert. Arbeiter sollen sich verstärkt literarisch betätigen und den sozialistischen Aufbau in Industrie und Landwirtschaft beschreiben (Parole: „Greif zur Feder, Kumpel!"1). Umgekehrt sollen Berufsautoren den Weg zum Arbeiter finden (Parole: „Dichter in die Produktion!"). Es kommt jedoch nicht zur Entstehung einer Arbeiterliteratur. Auf der zweiten Bitterfelder Konferenz 1964 wird das Scheitern indirekt zugegeben. Die Epik der 60er-Jahre steht unter dem Begriff „Ankunftsliteratur" (nach dem Titel des Romans Ankunft im Alltag von Brigitte Reimann, 1961). Sie schafft Helden, die sich im Verlauf eines Bildungsprozesses in die sozialistische Gesellschaft eingliedern. Neben klischeehaft schematisierten Werken finden sich auch anspruchsvollere Arbeiten (Erwin Strittmatter: OleBienkopp, 1963). Viele jüngere Autoren, teilweise in der Brecht-Tradition stehend, beginnen in den 60er-Jahren Gedichte zu veröffentlichen, in denen Persönliches, etwa die Sehnsucht nach Glück und Geborgenheit, immer wieder anklingt. Daneben findet sich Satirisches, aber auch Pessimistisches. Die Resonanz ist gewaltig. Zu nennen sind: Wolf Biermann, Johannes Bobrowski, Volker Braun, Sarah Kirsch, Reiner Kunze. Das Drama steht zwar weiterhin unter den Vorgaben der Partei, doch Tendenzen zur Darstellung persönlicher Bedürfnisse, teilweise mythisch eingekleidet, sind erkennbar (Peter Hacks: Amphitryon, 1967; Adam und Eva, 1972). Eine Erzählung, die auch im Westen ein großes Echo hatte, ist Ulrich Plenzdorfs Die neuen Leiden des jungen W. (1972). Der Lehrling Edgar Wibeau bricht seine Ausbildung ab und zieht als Außenseiter in ein Gartenhaus. Er hat eine Beziehung zur Verlobten eines etablierten Zeitgenossen. Die Lektüre von Goethes Die
Leiden des jungen Werthers vermittelt ihm Parallelen zu seinem eigenen Leben. Beim Testen einer selbst erfundenen Farbspritzpistole kommt er ums Leben. Das Werk entfachte in der DDR eine lebhafte Diskussion um die Aufgaben von Kunst und Literatur. Wibeaus Verhalten, seine Unangepasstheit, sein schnoddriger Jugendjargon und die Möglichkeit, dass seine „Leiden" die Verfassung einer ganzen Generation spiegeln, riefen ablehnende Politikerstimmen auf den Plan. Unangepasste Figuren bringt auch Volker Braun auf die Bühne. In Freunde (1971) und Hinze und Kunze (1979) kritisiert er überzogene Forderungen an die Arbeiter im Arbeitsprozess. Der mit einigen DDR-Preisen bedachte Christoph Hein wird durch den Erfolg seiner Novelle Der fremde Freund, die in der Bundesrepublik unter dem Titel Drachenblut (1982) erscheint, bekannt. Eine Autorin, die wiederholt in die öffentliche Kritik geriet, ist Christa Wolf (geb. 1929). Das SEDMitglied stieß mit seinen Werken Der geteilte Himmel (1963), Nachdenken über Christa T. (1968) und Kindheitsmuster (1976) auf deutliche Vorbehalte der Partei. Nach der Wende entfachte Wolfs Erzählung Was bleibt (1990) einen Literaturstreit in Deutschland. Man warf der Autorin Opportunismus vor.
Übersicht: Die Literatur der DDR
Hintergrund | Sozialistischer Realismus (in der Sowjetunion: 1934); Expressionismusdebatte (1937/38): Gegensatz zwischen Lukäcs (für traditionelle Lit.) u. Brecht (für moderne experimentelle Lit.) |
Literarisches Leben | Besatzungszeit: Literatur unter sowjetischer Kontrolle; DDR: Literatur unter Kontrolle der SED; Repressalien gegen kritische Autoren; Emigration von Autoren in den Westen; 1976: Ausbürgerang W. Biermanns; Folge: Ausreisewelle |
Entwicklung, Autoren, Themen | 50ER-JAHRE: „Aufbau-Literatur": optimistisches Bild vom Sozialismus; Absage an literarische Experimente, Vorgehen gegen nicht linientreue Autoren; B. Apitz: Nackt unter Wölfen', ,3itterfelder Weg": Arbeiter als Autoren, Autoren in die Produktion 60er-jahre: „Ankunftsliteratur": Eingliederung in die sozialistische Gesellschaft als Bildungsprozess; E. Strittmatter: Öle Bienkopp; Lyrik: Sehnsucht nach Menschlichem ab 70ER- jahre: Diskussion über die Aufgaben der Kunst, ausgelöst durch: - Ulrich Plenzdorf: Die neuen Leiden des jungen W. - Christa Wolf: Kindheitsmuster — Volker Braun: Freunde, Hinze und Kunze - Christoph Hein: Der fremde Freund 1 Drachenblut |
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